Digitaler Push fürs Handwerk
Ein Laufband, Messgerät, Kamera. Wofür das Sanitätshaus Vital in Hilden steht, erkennen Interessenten bereits beim flüchtigen Blick von der Straße aus. Während in den meisten Sanitätsfachgeschäften Produkte die Schaufensterflächen dominieren, ermöglichen Anna und Andreas Wylenzek gezielt den Einblick in eine Kabine mit Mess- und Analysegeräten. GP hat sich vor Ort umgesehen und mit den Machern gesprochen.
Links neben dem Eingang werden die Schuhe präsentiert, nach hinten versetzt haben der Kassenbereich und das Sanitätshaussortiment ihren Platz, rechter Hand ausgewählte Wäscheartikel sowie einige Rollatoren. Eine klassische Verkaufsfläche in einem Sanitätshaus – wenn da nicht der große Wanddurchbruch mit einer Scheibe wäre. Dahinter liegt eine großzügige Kabine für die Gang- und Laufanalyse von Prothesenträgern oder Sportlern. Wenn die Kabine besetzt ist, lässt sich per Knopfdruck ein Sichtschutz mit einem attraktiven Fotomotiv nach unten fahren. „Diese Transparenz ist wunderbar“, freuen sich Anna und Andreas Wylenzek, die seit 1989 das Sanitätshaus Vital in Hilden leiten. „Wir verstecken unsere orthopädietechnische Kompetenz nicht in der Werkstatt, sondern bilden sie auch auf der Sanitätshausfläche deutlich ab.“ Dies sei eine Besonderheit für die Sanitätshausbranche, ergänzt Elke Park, die mit ihrem Planungsbüro Parkraum für die Konzeption der Fläche sowie die Koordination und den Bauablauf verantwortlich zeichnet.
Die großzügig bemessenen Kabinen nehmen etwa die Hälfte der gesamten Geschäftsfläche von über 1.000 qm ein. Neben dem zentral gelegenen Gang- und Laufanalyse-Bereich gehören dazu separate Räume für die Fußdruckmessung, die Kompressionsversorgung, eine Gangschule mit Treppe und Rampe für mechatronische Prothetik und Orthetik sowie diskret in einem Seitenbereich des Geschäftes die Brustprothetik. „Wir benötigen genügend Platz für die Diagnostik. Außerdem wollen wir, dass sich die Menschen in den Räumen wohlfühlen“, führt Anna Wylenzek aus. Die Wände in jeder Kabine sind daher individuell farbig gestaltet, um eine behagliche Atmosphäre zu schaffen. Alle Kabinen bieten außerdem die Möglichkeit für zusätzliche digitale Services und Bildschirme. Das können Filme und Produktinformationen sein, aber künftig auch eine komplette dezentrale Abwicklung der Versorgung – zum Beispiel bei der Brustprothetik –, so dass die Kundinnen und Kunden gar nicht mehr zur Hauptkasse müssen. Im ersten Moment sei ihm die Planung für die Kabinen zu groß erschienen, gibt Andreas Wylenzek unumwunden zu. „Doch jetzt bin ich froh über die Umsetzung“.
Auch im Verkaufsbereich setzen die Unternehmer auf digitale Bausteine. An einer zentral platzierten Stelle können sich Kunden selbstständig oder zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über verschiedene Hilfsmittelversorgungen informieren sowie ihre individuellen Flipflops konfigurieren, erläutert Anna und Andreas Wylenzeks Tochter Edith Winterstein. Auf einem Display im Schuhregal erscheinen automatisch ergänzende Informationen zu einem Modell, wenn der Kunde es in die Hand nimmt – NFC-Technik macht es möglich. Seit dem Umzug in die neuen Räume ergänzt die Laufschuh-Marke Brooks das Sortiment. Dazu addieren sich Finn Comfort, Joya, MBT und Lucro.
Im Wartebereich nutzen die Sanitätsfachhändler das Web-TV-Angebot der Opta Data Gruppe. Künftig wolle man aber auch Beiträge selbst erstellen. So lassen sich zum Beispiel das handwerkliche Knowhow in der Werkstatt auf authentische und individuelle Weise demonstrieren. Andreas Wylenzek schätzt die digitale Unterstützung, die Elke Park in das Raumkonzept integrierte – wenn diese seine handwerkliche Kompetenz hervorhebt. Den Schwerpunkt seines Angebots bilden die Orthopädie(schuh)technik, kleinere Reha-Hilfsmittel wie Rollatoren und das Sanitätshaussortiment. „Wir legen Wert auf das Handwerk“, führt der Orthopädietechniker-Meister aus, der nach seiner orthopädietechnischen Ausbildung und praktischen Tätigkeit in Polen im Jahr 1981 nach Deutschland kam und drei Jahre später bereits seine Meisterprüfung an der IHK in Düsseldorf ablegte. Der online-unterstützten Versorgung mit Einlagen erteilt er daher eine deutliche Absage. „Wir wollen die Kunden bei uns im Geschäft sehen und hier versorgen.“
Im August baute das Sanitätshaus Vital gleichwohl seinen Internetauftritt mit einem Online-Shop aus. Dort steht der Freiverkauf im Vordergrund. Der Online-Shop reiht sich nahtlos in die Entwicklung des Unternehmens ein. Schließlich tragen die abgerechneten Leistungen über Rezept gerade einmal die Hälfte zum Gesamtumsatz bei, führt Anna Wylenzek aus. Für den hohen Freiverkaufsanteil zeichnet vor allem die auf Wäsche und Bademode spezialisierte Filiale Wäschetraum verantwortlich.
Die beteiligten Gewerke
Folgende Dienstleister zeichnen für den Neuauftritt des Sanitätshaus Vital in Hilden verantwortlich:
- Planung, Innenraumkonzept und Projektkoordination: Parkraum, Stuttgart
- Digitalisierungspartner: Mediativ AG, Stuttgart
- Ladenbau: Ralf Kreft Pro-duktmanagement, Olsberg
Stark im Netzwerk
Das Vital Sanitätshaus engagiert sich in verschiedenen Netzwerken. In den ehemaligen Räumlichkeiten, die nur wenige Meter entfernt einmal quer über die Straße liegen, eröffnet im neuen Jahr eine physiotherapeutische Praxis. Nicht zuletzt in der Lymphtherapie strebe man dank der räumlichen Nähe eine enge Zusammenarbeit an. „Wir können direkt nach der manuellen Lymphdrainage Maß nehmen für die Kompressionsversorgung“, sagt eine leitende Mitarbeiterin beim Rundgang.
Das Sanitätshaus Vital gehört zu den Partnern beim Entlassmanagement der umliegenden Krankenhäuser. „Das funktioniert reibungslos“, führt Andreas Wylenzek aus. Gleichzeitig strebt er eine verstärkte Kooperation mit Kliniken im Bereich der Forschung an. Schließlich liefert die Laufgang-Analyse mit dem Mess-System von Molibso eine Fülle an Daten, deren Dokumentation nicht nur die Argumentation gegenüber den Kostenträgern erleichtert. Die Auswertungen ließen sich auch in der Sportwissenschaft nutzen, ist der Orthopädietechniker überzeugt, während er auf einem Messergebnis voller Elan den Knick der Fußachse interpretiert.
Nicht zuletzt pflegt das Sanitätshaus eine Kooperation mit dem Fitnessstudio Sportmühle. In einem Ausstellungsraum sowie bei Veranstaltungen bietet es den Kunden einen Überblick über Versorgungsmöglichkeiten mit Hilfsmitteln. Außerdem können die eigenen Mitarbeiter zu einem vergünstigten Beitrag trainieren.
Das Sanitätshaus Vital beschäftigt rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit neun Nationalitäten. Anna Wylenzek empfindet die Vielfalt ihres Teams als berufliche und private Bereicherung. Zudem schätzt sie den Mix an jüngeren und älteren Mitarbeitern, „die Verständnis für die Probleme unserer Kunden mitbringen“. Zum Team gehören auch fünf Auszubildende. Das Unternehmen engagiert sich seit jeher für den beruflichen Nachwuchs und wurde von der IHK dafür ausgezeichnet. Insgesamt habe man schon rund 60 junge Menschen für den Sanitätsfachhandel und die Orthopädietechnik begeistern können, so Anna Wylenzek weiter. Denn: „Es ist ein abwechslungsreicher, schöner Beruf.“ TK