ERLEBNIS-WELT: SHOPPING
Leonardo Award für ein Sanitätshaus – Design trifft auf Wirtschaftsunternehmen
Heutzutage macht es eigentlich kaum einen Unterschied in welcher Stadt man sich befindet. Die Warenhäuser und Flagshops der uns bekannten Marken gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Wo bleibt der Anreiz, ein solches Geschäft zu betreten?
SCHLÜSSELFAKTOREN
Kunden sind Individuen, die ganz unterschiedlich auf Reize und Impulse reagieren, so im Besonderen auf den städtischen Flaniermeilen. Auch im Gesund-heitsfachhandel muss man zukünftig auf Schlüssel-reize setzen:
Pflegebedürftige Menschen und gesunde Menschen sollen nicht nur versorgt werden, sondern ihnen soll durch den geschickten Einsatz gestalterischer Elemente in den Fachbetrieben der Orthopädie- und Orthopädieschuhtechnik, sowie Rehaeinrichtungen, Unternehmen für die Medizintechnik und Sanitätshäusern, eine Wertschätzung entgegengebracht werden.
Gesundheitsbetriebe müssen sich über die bloße Rezepthandhabung hinaus wirtschaftlich behaupten. Die Unternehmen müssen eine eigene Markenbotschaft ausstrahlen, um ökonomisch am Markt zu bestehen. Dies bedeutet, dass Show, Emotionenweckung und Kundenansprache signifikante Säulen einer neuartigen Unternehmenskultur in dieser speziellen Branche werden müssen.
Doch wie gewinnt ein Betrieb mit Prothesenkunden, Pflegebetten und Präventionsinteressierten ein positives und modernes Image?
Ansprüche: Logistik – Verwaltung – Werkstatt – Kabinen – Ladenfläche > Komplexität hoch 3
Der Kunde muss schon beim ersten Kontakt – beim Eintritt in einen Gesundheitsbetrieb – die positive Ansprache wahrnehmen: Ein Wohlfühlambiente gepaart mit einem Einkaufserlebnis ist Ziel der gesamten Innenraumkonzeption.
Jedoch lehrt die Erfahrung, dass keine Gebäudearchitektur mitsamt Raumprogramm so mühsam zu gestalten ist wie jene der Orthopädie-, Reha-, Medizin- und Sanitätshausbetriebe. Damit die Prozesse innerhalb der Mitarbeiter sowie die Kundenabläufe abgestimmt sind, bedarf es jahrelanger Erfahrungswerte. Die heutige Zeit wird beeinflusst von Innovationen, Flexibilität und Schnelllebigkeit, die zukünftigen Möglichkeiten der Digitalisierung dringen bis in den Bereich Home und Care, in die Pflege, oder der Orthopädie vor:
› Der Außendienst eines Sanitätshauses berät mithilfe des Patientencomputers durch interaktive Tools.
› Im Gipsraum von heute, in dem heute noch das Handwerk dominiert, kann morgen schon ein Roboter diese Tätigkeit ausführen.
Diese unbekannten Größen, zukünftige Wachstumsaussichten, neuartiger Workflow, flexible Versorgungsmodelle prägen die Raumkonzepte extrem. Gestalterische Elemente müssen parallel mit dem Fachhandel, der als erstes die Kunden empfängt, auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Der Kunde möchte emotional angesprochen werden, um sich im Verkaufsumfeld wohl und entspannt zu fühlen. Auf der Ladenfläche präsentiert sich die gesamte Strategie und Ausrichtung eines Unternehmens, dadurch wird Marketing erreichbar.
UMSETZUNG
Ein erfolgreiches Konzept für ein „Einkaufserlebniss im Pflegeoutfit“ bedarf eines engagierten Teams. Ein solches multifunktionales Team hat mit seinen innovativen Konzeptionen für das Sanitätshaus Göldner im Jahr 2018 den Leonardo Award für die beste Raumgestaltung gewonnen.
Für diese Punktlandung war ein „Dreamteam“ verantwortlich: Die Ehefrau des Geschäftsführers, sowie die Visual-Merchandiserin, die federführende Innenarchitektin und allen voran der Inhaber. Der Respekt untereinander und das Kreativitätszusammenspiel zwischen Bauherrenteam, Merchandiserin und Gestalterin, musste stimmig sein, um eine wirklich großartige Ergebniswelt im Verkaufsraum zu bewirken: Alle zogen an einem Strang und hatten intuitiv dasselbe Resultat vor Augen.
Der Wunsch der Inhaber, bayerische Gemütlichkeit mit moderner Atmosphäre zu vereinen, ohne künstlich aufgetragen zu wirken, war die herausfordernde Aufgabenstellung an die Innenarchitektin.
Die Erkenntnis, dass die positive Visualisierung für Verkaufsräume im Gesundheitswesen zwingend sein muss, wurde vom Inhaber-Ehepaar vorausschauend erkannt und überzeugend umgesetzt. Das Faible für Design, vor allem für die beratungs- und kostenintensive Ware, bestimmte das Handeln der homogene und weiblich geprägten Gestaltungscrew.
Das Unternehmen ist Retail pur im Gesundheitsmarkt, dies ist exakt die Kernaussage für das gebaute Innenraumkonzept: Wie können die Produkte so wertvoll präsentiert werden, dass negative Assoziationen (krank, altmodisch) vermieden werden?
Zum einen bestimmt die Architektur das Raumkonzept und zum anderen ist es das Spiel auf der Fläche, die Handelswaren geschickt zu arrangieren: Eintretend in das Sanitätshaus durch einen Windfang beginnt bereits das Erlebniseinkaufen: Ein Rollator auf echten Steinen kombiniert mit Wanderwegambiente im Hintergrund und passend fröhliches Farbspiel in der Dekoration lässt den Kunden bereits einen positiven Aha-Effekt erleben.
Der Blick wandert dann nach rechts zur goldgelben Ellipse (einem mit Filz umspannten ovalen Raumelement, das Schall absorbiert sowie der Präsentation von Ware in der Nähe der Kundenweges dient). Linker Hand sind Pflegebetten arrangiert (mit bunten Farbtupfen, großen lustigen Motive oder bunten Trinkflaschen). Durch den Einsatz von Visu-al-Merchandise werden Prothesenpuppen im Sportoutfit oder Kinderfiguren mit Bandagen kundennah dargestellt.
Ein durchgängiges Farbkonzept vom Verkaufsraum bis in die Kabinen bzw. Anproberäume, vor allem im zentralen Treppenhaus bis zu den Kundentoiletten sind weitere Hingucker. Eichenholz an der Decke und in den Warenträgern erzeugen den räumlichen Zusammenhang. Weiß als Hauptfarbe für die Displays erzeugt Klarheit und Übersicht bei den Kunden.
Die Innenarchitektin hat zur Gesamtkomponente des Innenraumkonzeptes das fachmännische Beleuchtungskonzept für Wareninszenierung auf der Ladenfläche und im Schaufenster geplant: LED-Leuchten für die brillante Farbwiedergabe der Produkte wurden als schwenkbare Strahler und runden größeren Einbauleuchten ausgewählt.
MEHRWERT UND WERTSCHÄTZUNG
Die Rezepthandhabung ist ein Butter- und Brotgeschäft für die Sanitätshäuser. Damit ein Kunde aber über seinen eigentlichen Bedarf hinaus, gar freiwillig oder unaufgefordert Produkte in die Hand nimmt und diese im Idealfall einkauft, bedarf es einer sehr bestimmten Wohlfühlatmosphäre mit kommerziellen Merkmalen.
Die bewusst eingestellten Großfotos verinnerlichen versteckte Werbemotive und sind hinterleuchtet, um die Aufmerksamkeit der Kunden zu erhalten. Die Produkte werden in Produktgruppen auf der Ladenfläche präsentiert und darüber hinaus in den Kabinen ausgestellt: So kann während eines Beratungsgesprächs suggestiv Ware angeboten werden. Der Abverkauf von Ware in der Kabine ist eine Notwendigkeit, um über das Rezeptgeschäft hinaus Umsatz zu erzielen.
Was sich im Fachhandel bewährt hat, wurde hier für die Orthopädie umgesetzt: Wartezonen mit Ausblick auf einen mit Pflanzen ausgestatteten Innenhof vermitteln eher Urlaubsstimmung als Krankenhausambiente. In dieser Atmosphäre werden die Prothesenpatienten eingehend informiert, können Laufproben unternehmen und werden zudem fachkompetent im Hinblick auf den Nutzen der Technik beraten.
Transparenz wird auch baulich umgesetzt: Um fast die gesamte Ladenfläche befinden sich Schaufenster. Die Architektur erzeugt das Gefühl von Freiheit, angefangen vom Erdgeschoss bis in das Obergeschoß. Diese Schaufenster – um den Gedanken der Shopwelt wieder aufzunehmen – ermöglichen kurz einen Blick ins Innere, bieten aber zugleich viel Werbefläche nach außen: Stimmung, Sortimentskompetenz und das Image des Unternehmens werden sichtbar gemacht. Keine andere Marketingmaßnahme, die bereits das Vertrauen der Kunden von Anfang an gewinnt, kann besser arrangiert werden: Großflächige Fotomotive, Figuren mit Hilfsmittelprodukten, Geschichten erzählende Dekorationsarrangements.
KUNDENBINDUNG UND NACHHALTIGE DIGITALE AUSRICHTUNG
Best Ager sind so konkret über Produkte informiert wie keine andere Bevölkerungsschicht. Der Patient ist Kunde, der Kunde ist König.
Der stationäre Sanitätsfachhandel kann viel unternehmen, damit seine Kunden möglichst lange auf der Verkaufsfläche verweilen. Letztendlich entscheidet der Verbraucher, ob die Beratung und die Auswahl der Produkte sowie das Ambiente ihn überzeugen und er gerne wiederkommt. Das preisgekrönte Sanitätshaus ist auf die zukünftige Digitalisierung im Fachhandel perfekt vorbereitet worden: Einige der horizontalen Warenträgersystemschienen sind elektrifizierbar, also stromführend eingebaut worden. Dort lässt sich ohne viel Aufwand ein Bildschirm für das Abspielen eines Werbefilms oder für eine digitale Preisauszeichnung anhängen. Damit ist der Weg für zukünftige Retailkonzepte frei: Haptik des Produktes gepaart mit digitalen Elementen.
Kunde – Mitarbeiter – Beratung – Online – Offline, ein Kreislauf, der die kommende Zeit im Gesundheitsmarkt prägen wird. Dies ist Wohlfühlatmosphäre mit Highlight-Charakter, gepaart mit wirklichen Elementen der Shopwelt.
BETRIEBLICHE UND PSYCHOLOGISCHE PROZESSE MÜSSEN KOORDINIERT WERDEN
Wichtig für den Erfolg der baulichen Maßnahme ist die Phase der Umsetzung in eine Art Corporate Identity. Mitarbeiter – Kundenabläufe – Warenwirtschaft – Führungsstil, um lediglich einige Schlagworte zu nennen, verwandeln komplett den bisherigen Alltag. Auf diese neuen Prozesse müssen sich die Betriebseigentümer einlassen und rechtzeitig Anpassungsmaßnahmen einleiten. Wenn ein Unternehmen mit viel Mühe und Liebe zum Detail Büroetagen und Mitarbeiterräume gestaltet, so ist der „gute Geist“, die stimmungsvolle Aura sehr tief in einem Gesundheitsbetrieb zu spüren. Diese positive Ausstrahlung wird von jedem Mitarbeiter aufgenommen und unbewusst – im Idealfall an die Kunden – abgegeben.
FAZIT
Für das mit dem Leonardo Award ausgezeichnete Sanitätshaus hat die Investition in die Zukunft bereits Früchte getragen. Imagebildung, Kundengewinnung, Kundenbindung und Verkaufsförderung sowie Werbung, Marketing, Service- und Kunden-Orientierung sind zu festen Größen im Tagesgeschäft geworden mit sehr guter Außenwirkung und Multiplikatorcharakter. Bewährtes Design und professionelle Visualisierung durch Marketing lohnen sich, um wirksam im Markt zu bestehen.
Elke Park
Diplom-Ingenieurin, Geschäftsführerin PARKRAUM, Konzepte und Consulting, Innenarchitektin, Stuttgart