Architektur, Design&Pflege
Gebaute Strategien für den Gesundheitsmarkt
Vor sehr langer Zeit durfte ich ein Sanitätshaus aufsuchen, um für meine Oma einige Pflegeartikel zu besorgen. Mich hatte damals das Ambiente sehr abgestoßen und ich dachte mir, dass wohl hier gestalterisch einiges zu unternehmen wäre. Vor allem das antiquarische Umfeld im Vergleich zu den hochpreisigen Produkten passte überhaupt nicht zusammen. Nicht wissend, dass ich mich dieser Branche in Zukunft widmen würde, startete ich mein Studium der Innenarchitektur.
Wie es im Leben spielt, durch einen wunderbaren Wink des Schicksals, durfte ich nach einigen Jahren in der Berufspraxis einen der progressivsten Fachbetriebe der Gesundheitsbranche ausbauen und gestalten: Brillinger Orthopädie in Tübingen. Durch die Offenheit für architektonische Formen, Faible für Design und Kultur und der sehr positiven Zusammenarbeit mit den Bauherren, Herrn und Frau Fischer, habe ich viel Wertschätzung für ein sehr spezielles Patientenklientel erfahren.
Damit begann meine Mission, mich für mehr Qualität in der Inneneinrichtung und der Architektur für diesen besonderen Gesundheitsmarkt, dem der Sanitätshäuser, Rehabetriebe und Orthopädiefachgeschäfte, einzusetzen. Basis meiner damaligen Fachkompetenz war die Einrichtung von Shops, also dem Fashion-Retail wie z. B. Bekleidung, Sport, Accessoires, außerdem war ich Innenarchitektin für eine in Deutschland ansässige Kaufhauskette. In der Handelswarenbranche wird viel unternommen, um den Kunden ins Geschäft zu locken, auf die Ladenfläche. Aber in einem relevanten Punkt unterscheidet sich eine Retailsparte zum Gesundheitsmarkt: dem Rezept!
Mit diesen Erfahrungswerten, sowie immer neuen kreativen Ideen, den Kunden durch besondere visuelle Darstellung der Warensortimente auf die Verkaufsflächen bzw. in die Showrooms „hereinzubitten“, transferiere ich bewährte gestalterische Werte in diese spezielle Sparte der Gesundheitsbranche.
Die Mobilität und Flexibilität ist ein unaufhörlicher Wachstumsfaktor in allen wirtschaftlichen Bereichen: Verkehrsmittel, Medieninformation, Digitalisierungsprozesse. Vor allem der „Silberne Tsunami“ durchquert mehrmals den Alltag: Scooterfahrende Menschen, Rollatoreinkaufende Best Ager, E-Bike brausende Middleager, die schon fast im Geschwindigkeitsrausch die Höchstleistung des Fahrzeugs prüfen: Mobilität und Fitness sowie der Erhalt des zu bewältigenden Alltagslebens und der Selbstständigkeit inklusive Lebensqualität sind die Ziele.
Es müssen viele Menschen, die Bedarf an Hilfsmit-teln haben, in diese speziellen Geschäfte kommen und sich versorgen lassen UND einkaufen dürfen: eine Jeanshose und einen schicken Pulli werde ich nicht auf Rezept erhalten, ABER ich habe den Kun-denpatienten bereits durch das Rezepthandling im Sanitätshaus und damit auf der Ladenfläche!
Aus diesem Fakt ergeben sich meinerseits viele Fragen, bezüglich einem modernen Umgang mit dieser spezifischen Ware und diesem Klientel: Warum dürfen geriatrische Patienten mit Begleit-person nicht in einem positiv dargestellten Ambiente bedient und versorgt werden? Müssen lediglich Rezept-Artikel präsentiert sein? Darf es ein bisschen mehr an Service und Beratung, vor allem Einkaufs-erlebnis sein? Möchte ich als Betriebseigentümer eher unabhängig von Empfehler und Krankenkassen sowie Gesetzeslage agieren?
Wie möchte ich mich zukünftig meinem Klientel darstellen und mich positionieren, um wirtschaftlich profitabel existent zu bleiben?
Sind die Kunden von morgen die Begleiter der aktuellen Patienten, so ist es ein Must Have bereits jetzt und hier den Service anzusetzen: aktiv und in der Außendarstellung ablesbar. Ganz abgesehen von der sportlichen, jungen und ambitionierten Kundschaft, die aufgrund von Verletzungen ein Sanitätshaus aufsuchen muss.
Dieses entscheidende „Quäntchen“ Kriterium, das Rezept, ist Anlass, sich in der Tiefe mit den Strategien der Verkaufswelt in der Gesundheitsbranche zu befassen: welche Möglichkeiten die Fachbetriebe haben, die Umsätze zu steigern und den Service am Menschen auszubauen!
Mein Ansatz ist jener, durch die Brille der Innenarchitektur sowie der Architektur zum Wohl der Menschen beizutragen. Da diese beiden Parameter, das Ambiente im Innenraum und die Gestaltung der gebauten Hülle, den Menschen als Kunden und ebenso als Mitarbeiter entscheidend im Kauf- sowie Kundenverhalten beeinflussen! Es ist das gebaute Marketing eines Betriebes: Gebäudehülle und das Innenraumkonzept homogen so zusammenzufügen, dass eine gebaute Gesamtaussage mit Wohlfühlambiente den Kunden anspricht.
Eine freundliche und interessante Architektur lädt bereits ein, ein Gebäude zu betreten und mit diesem positiven Gefühl sind alle weiteren Abläufe geprägt. Der Zutritt, noch um bei der Architektur zu bleiben, hinein in ein Gebäude wird mehr vom Kunden wahrgenommen als von den Bauherren bzw. Geschäftsinhabern üblicherweise angenommen! Hier muss erwähnt werden, dass der Kunde, der ein Gesundheitshaus betritt, automatisch vor seinem geistigen Auge den Vergleich mit weiteren Handelshäusern zieht. Bewegt sich unser Kunde im alltäglichen Warenhausumfeld und sieht dabei imposante Shopwelten, hat er automatisch dieselbe Erwartungshaltung bei hochpreisigen Sortimenten, egal ob Gesundheitsbranche oder Sporthandel. Entscheidende Fragestellung ist: wird der Kunde eines Pflege- und Rehabetriebes zum Kauf von Produkten animiert? Ist die Kompetenz eines Betriebes dargestellt? Welche Augenblicke begeistern den Kunden wirklich? Diese Wahrnehmung passiert innerhalb weniger Sekunden und sehr unterschwellig: der wesentliche Faktor ist, dass es im Augenblick des Betretens von Verkaufsräumen keine zweite Chance gibt: der erste Eindruck bleibt entscheidend haften und wirkt nachhaltig.
Erlebniseinkaufen, Erhöhung der Verweildauer, originelle Gestaltungsideen und professionelle Warenpräsentation sind wesentliche Faktoren, um den Kunden an einen Betrieb zu binden und sich auf diesem Markt etwas unabhängiger von der Rezeptwelt auszurichten. Denn viele Gesetzespflichten und Präqualifizierungsmaßnahmen lassen die Betriebseigentümer in einem sehr engen Korsett agieren, was der Kunde unter keinen Umständen im Verkaufsraum repräsentiert haben und spüren darf.
Wir haben grandiose Shopwelten für diverse Betriebe geschaffen, haben Lifestyle und Zeitgeist integriert durch eine Farben- und Formenwelt, durch Beleuchtungskonzepte inszeniert, die abgestimmt auf den Innenraum sind, haben Natur und Grün eingebunden sowie durch einmaliges Merchan dise, die Präsentation der Warenwelt, fasziniert. Und immer ist der Kunde als Mensch im Focus.
Foto: Tim Dalhoff
Ein noch weitaus wesentlicher Aspekt für einfallsreiche und funktionelle Gestaltungsansätze in der Gesundheitsbranche sind Strategien durch ein Innenraumkonzept in Bezug auf die Mitarbeiter. MitarbeiterInnen im Gesundheitsmarkt sind definitiv notwendig, weshalb dafür ein entsprechendes Arbeitsumfeld geschaffen werden muss: wie beim Kunden bereits beginnend in der Architektur: Licht, Sonnenschutz, freundliche und attraktive Arbeitsplätze sind zukünftig wesentliche Parameter, um die Mitarbeiter zu bewerben und für die Zukunft aufzubauen und zu motivieren. Das Ergebnis des optimalen Bedienens des Kunden und den koordinierten Abläufen der Mitarbeiter konglomeriert sich in diesem Gesundheitsmarkt in einem exakten Punkt: dem Innenraumkonzept. Der Kunde tangiert mehrere Flächen eines Betriebes: Showroom, Kabinen bzw. Anprobe- und Beratungszonen, gegebenfalls Versuchsstrecken der Mobilität oder für Prothesen auch noch die Werkstätten. Effizient geplante und wirtschaftlich ausgerichtete Wegstrecken der Kunden und Mitarbeiter bedingen für beide Seiten des Fachhandels eine Win-Win Situation. Begeisterung im Verkauf und der Beratung schafft Zufriedenheit beim Käufer.
Die Gesundheitsbetriebe müssen Ihre Kernkompetenzen darstellen und diese bewusst dem Kunden präsentieren, so macht kaufen + verkaufen Spaß! Ein jeder Betrieb ist individuell aufgestellt und hat seine Verkaufs- und Geschäftsstrategie entwickelt. Diese Geschäftstaktik ist in das gebaute Umfeld so umzusetzen, dass zukünftig Beratung und Erläuterung zum Produkt, besonders Warenpräsentation und Produktmitnahme einfachst für das Klientel gestaltet sind. Produkte vom Igelball bis zur Größe eines Pflegebetts sind quasi die Herausforderung für alle beteiligten Dienstleistungskanäle: Fachbetrieb und Lieferant bzw. Industrie. Dadurch ist diese Branche so prädestiniert für digitale Lösungen auf der Ladenfläche: Der große Mehrwert, die haptische Warenwelt in Verbindung mit Chancen der digitalen Shopwelt zu verbinden, wird sich früher oder später in diesem hierfür noch etwas jungfräulichen Markt durchsetzen. Must-Have-Entscheidungen werden von den Kunden emotional getroffen, für ein Produkt, für das außerdem Fakten der Funktionalität zählen. Dies alles ist durch Monitore platz sparend und professionell darzustellen.
Dadurch steigt der Service am Pflege- und Rehakunden: kein lästiges Hin und Her, im Ordner suchen und händeringendes Erklären, nein vielmehr Freude den Kunden fortschrittlich und ansprechend zu bedienen, sowie diese positive Energie auf den Kunden überspringen zu lassen, damit er offener auf diverse sensible Themen und dafür abgestimmte Produkte ist. Das Beratungsumfeld entsprechend in der Warengestaltung zu artverwandten Themen anpassen und kurze Wege sowie leichtes Handling, lassen den Mitarbeiter schnell und kreativ agieren.
Pflegeberatung und Produktpräsentation für den Kunden ist facettenreicher als angenommen. Mittlerweile beschäftigt sich die Industrie in hohem Maße mit dem Design der angebotenen Pflege- und Hilfsmittelprodukte: ja, schön sollen sie sein, anmutend und ab+an pfiffig! Ausserdem soll die entsprechende Warenpräsentation gleichermaßen begeistern! Was hat folglich Architektur mit Pflege und Design zu tun? Die Antwort müssen wir nicht suchen, wir finden sie jetzt schon in dem Wohlfühlambiente der modernen Fachgeschäfte, die sowohl dem Berater = Mitarbeiter sowie dem Kunden = Käufer genug überschneidende Wirkungskreise einräumen. Spielraum für mehr Aktionen zur Umsatzsteigerung und mehr an Zeit-Raum für den Kunden, um die Verweildauer im Fachbetrieb zu verlängern.
Dies ist aus der Sicht der Innenarchitektur ein Impuls, in der Branche nachhaltig und positiv einen Imagewechsel zu bewirken und wirksam
zu bleiben.
SPASS, EMOTION UND LEICHTIGKEIT
Die Verweildauer des Kunden durch Szenen wie im Café verlängern: nachhaltig und äußerst wirksam. Foto: Ralph Koch Fotos & More Versuchstrecken, die Spaß machen und Leichtig- keit bei schweren Themen: Emotionen lenken das Kunden verhalten. Foto: Bettina Matthiesen Sinnvolle Digitalisierung für
eine optimale Beratung mit
dem Kunden: Emotion und
Ware geschickt präsentiert.
Foto: Martin KlindtworthPfiffige Präsentation für mobile Themenwelten: Die direkte Kundenansprache.
Foto: Schaub FreiburgProduktpräsentation, das Visual Merchandise, analog Handels-geschäften bis in die Beratungszone hinein: What a feeling. Foto: Alex Viebig