Die Orthopädie-Technik ist ein so vielfältiges Fach, dass den meisten Menschen, die erstmals in einem Sanitätshaus sind, gar nicht klar ist, wie groß die Bandbreite an Versorgungsmöglichkeiten ist.

Aber wie können die Betriebe die eigenen Kompetenzen besser in den Mittelpunkt rücken? Zum Beispiel, in dem sie ihre Werkzeuge, Messgeräte und Angebote besser sichtbar machen. Statt hinter Mauern und abseits der Blicke der Kund:innen ein fast unsichtbares Dasein zu fristen, müssen Orthopädietechniker:innen und ihr Können, gepaart mit modernster Technik zum Beispiel durch mehr gläserne Elemente sichtbar gemacht werden. Dipl.-Ing. Elke Park, Inhaberin Planungsbüro Parkraum, sammelt seit vielen Jahren Erfahrungen in der Gestaltung von Sanitätshäusern und in der Architektur von Fachbetrieben und prägt mit ihren Ideen und Umsetzungen das Bild von OT-Betrieben entscheidend mit. Im Gespräch mit der OT-Redaktion verrät sie, warum es wichtig ist die Arbeit der Gestaltung in fachkundige Hände zu legen und wie der Bedarf bei Kund:innen geweckt wird.

Das Sanitätshaus Vital in Hilden hat eine Showkabine in ihr Raumkonzept integriert. Foto: Heribert Boernichen

OT: Frau Park, die Werkstätten in den OT-Betrieben werden immer moderner. Wie wichtig ist es, diese Entwicklung auch für die Patient:innen erlebbar zu machen?

Elke Park: Unsere Gesellschaft hat sich gewandelt und früher oft tabuisierte Themen werden sichtbarer. Die Menschen entwickeln sich weiter und erheben einen Anspruch auf Transparenz. Was gibt es aus Sicht des Versorgers denn Besseres, wenn mein Kunde Interesse an seiner Versorgung hat? Das bindet einen Kunden viel mehr an „seinen“ Betrieb und schafft eine Begegnung auf Augenhöhe. Wenn ich als Kunde die Fläche eines Betriebes betrete, so frage ich mich, wo erkenne ich diese Versorgungsqualität? Ich bin Diplomingenieurin und habe deshalb eine starke Affinität zur Technik. Ich bedauere und vermisse es zunehmend, dass die Sichtbarkeit dieser Technik und modernen Entwicklung der Versorgung des Menschen so gering ist. Moderne Laufanalysen, Werkstattmaschinen, die zeigen wie eine Einlage geschliffen oder „meine“ Prothese korrigiert wird – das sind die Dinge, die mir als Kundin wichtig wären zu sehen. Es ist sehr relevant, dass die Branche die Chance wahrnimmt, die Kompetenz und das Handwerk gleichermaßen sichtbar und erlebbar für die Kunden darzustellen.

OT: Welche Möglichkeiten haben Betriebsinhaber:innen, um ihren Betrieb entsprechend zu gestalten?

Park: Heutzutage sind den Ideen der Gestaltung eigentlich keine Grenzen gesetzt. Inspiriert werden wir Innenarchitekten und Architekten durch die Innovationen der Branche. Wir hören uns an, welche Entwicklungen es gibt und geben wird und beschäftigen uns mit den Prozessen der Betriebe. Gerade der Einzug der Digitalisierung in die Werkstätten hat nicht nur das Arbeiten für Orthopädietechniker verändert, sondern auch für uns. Die Betriebsinhaber wünschen sich durch mehr Transparenz und Nähe als Fachbetrieb wahrgenommen zu werden. Das können wir als Innenarchitekten mit Flächenkonzepten in der Entwurfsgestaltung realisieren – beispielsweise mit der gläsernen Werkstatt oder der Showkabine. Dabei werden betriebliche Prozesse mit den Ideen der Gestaltung auf eine Handlungsebene gebracht.

OT: Was steckt hinter der Idee, einen Einblick in die Werkstatt zu gewähren?

Park: Man kennt es aus dem Bäckerhandwerk. Auf den Monitoren hinter der Theke bekommt der Kunde einen Einblick in die Backstube – darf also hinter die Kulissen schauen. Er sieht also, wie das Produkt – beim Bäcker Brötchen oder Brezel – erst in den Ofen geschoben wird und dann frisch zubereitet in der eigenen Brötchentüte landet. Wow! Die Gesundheitshandwerke brauchen sich mit ihren Leistungen nicht zu verstecken. Als Kunde möchte ich sehen, wie mein Versorger bzw. Orthopädietechniker mit meinem Körper und dem daran angepassten Hilfsmittel umgeht. Aus diversen Gründen zahle ich einen Aufpreis auf ein Hilfsmittel und möchte doch wissen warum. Wenn ich als Kunde wirklich sehe und erkenne, was sich beispielsweise hinter der Fertigung einer Orthese verbirgt, dann schätze ich doch umso mehr den Kostenaufwand. Das Vertrauen eines Kunden in den Betrieb steigt und eine Angst vor einer Hilfsmittelversorgung wird in Zuversicht und positive Gewissheit korrigiert.

OT: Wie nehmen die Mitarbeiter:innen im Sanitätshaus diese Umgestaltung wahr?

Park: Neue Entwicklungen, das sind wir gewohnt, werden nicht sogleich mit einem „Hurra” beantwortet. Vielmehr ist es wichtig, die Mitarbeiter beim Kreieren der Ideen – sprich an der Basis einer Neu- oder Umgestaltung – mit ins Boot zu nehmen. Zu unseren Workshops, die wir zu Beginn einer Planungsphase anbieten, können individuelle Impulse eingebracht werden, die später in der Planung berücksichtigt werden. Uns Gestaltern obliegt die Aufgabe die Wünsche und Ideen mit möglichst einfachem Handling umzusetzen, sodass der Wow-Effekt nicht nur für den Kunden, sondern vor allem für den Mitarbeiter gewährt ist.

OT: Welche Vorbehalte mussten Sie ausräumen bei Inhaber:innen wie Mitarbeiter:innen, als Sie Ihr Konzept vorgestellt haben?

Park: Als ich begann in der Gesundheitsbranche gestalterisch tätig zu werden, wollte ich das eher negativ behaftete Image eines Sanitätshauses grundlegend verändern. Diese Branche hat keine sexy Produkte zum Verkauf zu bieten, aber sie unterstützt Menschen in der Verbesserung ihrer Lebensqualität. Wir versuchen um diese Produkte und die Prozesse herum Raumstrukturen zu erarbeiten, die ein Verkaufserlebnis schaffen, damit sich dieses Image verbessert und die Wahrnehmung der Branche aufpoliert wird. Letztendlich sind wir mitverantwortlich durch unsere Konzepte noch mehr Kunden auf die Fläche und in einen Gesundheitsfachbetrieb zu locken. Das beste Ergebnis entsteht durch das Vertrauen in meine Person und unsere Fachexpertise. Die Begeisterung seitens der Geschäftsführer besteht in jedem Fall, der Weg zur Umsetzung ist je nach Bausituation abwechslungsreich.

OT: Für welche Versorgungsbereiche lohnt es sich, den Einblick hinter die Kulissen zu gewähren?

Park: Im Bereich der Kompression gibt es Mess- und Analysegeräte, die viel zu schade dafür sind vor den Blicken der Kunden versteckt zu werden. Warum soll diese hochkarätige Technik nicht allen Kunden zugänglich werden? Kommt der Kunde ausschließlich wegen einer Einlagenversorgung in das Sanitätshaus oder benötigt er mehr? Analog dem Sport- oder Bekleidungsfachhandel werden Waren präsentiert, die Bedarf wecken sollen. Genauso verhält es sich im Sanitätshaus: Es müssen Bedürfnisse beim Kunden geweckt werden. Die Kundenansprache hat sich in jüngster Zeit verändert, die Tabuisierung der Hilfsmittelversorgung wird mehr und mehr obsolet. Ich weise darauf hin: Hilfsmittel werden verkauft – punkt. Dieses Thema gilt es mit Verkaufserlebnissen zu „inszenieren“. Den Einblick in die Werkstätten und Anproben der Kompression oder Bandagenwelt den Kunden erleben zu lassen, ist ein Weg der modernen Sichtbarkeit eines Betriebes und bringt nicht nur bestehende, sondern auch neue Kunden auf eine Sanitätshausfläche.

OT: Welche baulichen Voraussetzungen müssen geschaffen werden?

Park: Kein bestehender Bau ist gleich, es sind immer neue Situationen, die von uns Planern gelöst werden müssen. Wichtig ist, dass die Geschäftsführung Planer wie Innenarchitekten engagiert, die ein Konzept zum Umbau erarbeiten. Denn es spart Geld und Zeit Fachleute ins Boot zu holen. Die Geschäftsführer haben parallel zu einem Umbau oder zu einer Neugestaltung ihren geschäftlichen Alltag zu leisten. Einen Anteil dieser Energie noch zusätzlich als eigener Architekt aufzuwenden, kostet Geschäftsführern zu viel Zeit. Dafür sind wir Planer ausgebildet. Es lohnt in diese Dienstleistung zu investieren, denn die Themen auf dem Bau mit Materialeinsatz, Lieferthemen und Facharbeiterpotential sind sehr komplex geworden. Wir Innenarchitekten koordinieren alles und kümmern uns ebenfalls um weitere technische Komponenten der Elektrik sowie Heizungs‑, Lüftungs- und Sanitärarbeiten. Somit ist das wichtigste Fundament ein erfahrenes und gut funktionierendes Planungs- sowie Bauteam zu engagieren.

OT: Wo wird das Konzept der Showkabine schon genutzt?

Park: Es geht nicht ausschließlich um eine Showkabine, es geht um Prozesse auf der Fläche, die räumlich abgebildet werden müssen und individuell an den Anforderungen der Betriebe angepasst sind. So haben wir beispielsweise zu einem Neubau in Kaarst, Sanitätshaus H&R GmbH, eine Showkabine und eine Showlaufanalyse konzeptioniert, was als Anforderung aus einem Workshop resultierte. Bereits beim Betreten der Ladenfläche werden beide Showflächen erkennbar und dem Kunden offensichtlich. Die Neugierde der Kunden erfahren die Mitarbeiter positiv und so kann eine frei verkäufliche Dienstleistung zusätzlich, über das Rezept hinaus, angeboten werden. Ein weiteres Beispiel ist in Hilden ein Betrieb, Vital Sanitätshaus Andreas Wylenzek, wo der Kunde bereits von außen, ohne das Geschäft betreten zu haben, ein Kompressionsmesssystem erblickt. Die weitere vielversprechende Überraschung erfährt der Kunde sogleich beim Eintritt in die Verkaufsfläche: Durch ein großes Sichtfenster wird eine Laufanalyse sichtbar. Diese gesellt sich geschickt konzipiert zu den Themen rund um den Fuß. Bereits der wartende Kunde oder derjenige, der einen Schuh anprobiert, kann sich unmittelbar mit der interessanten Technik auseinandersetzen. Wir haben durch unsere Planungskonzeption in beiden Beispielen versucht, unterschwellig den Kunden während eines Warenkontaktes zusätzlich mit weiteren Anreizen in Berührung kommen zu lassen!

OT: Welche Erfahrungen berichten Ihnen die Sanitätshausinhaber:innen?

Park: Eine wesentliche Komponente zu einer Glasfront und Show ist die Digitalisierung eines Betriebes. Wie weit kann ein Betrieb diese digitalen Prozesse und Schnittstellen mit erfüllen? Inwieweit sind die Mitarbeiter darin geschult? In Kaarst bei H&R werden beide Showflächen von Mitarbeitern und Kunden gleichermaßen gut angenommen. Es ist noch ein stetig wachsendes Potential, der Neubau ist Mitte 2022 eröffnet worden. Die Geschäftsführung hat den positiven Nutzen und das Umsatzpotential erkannt und ist im ständigen Prozess diese Dienstleistung für weitere Hilfsmittel der Kundenversorgung zugängig zu machen: z. B. für den Einsatz in der Reha, so dass rollstuhlfahrende Kunden über diese Analyse fahren können. Gleichwohl im Sanitätshaus Vital Hilden ist die Begeisterung bei der Geschäftsführung über dieses Konzept und Idee groß. Durch wachsende Neugierde unterschiedlicher Kunden, ergeben sich immer wieder Kontakte in zum Beispiel Spotmannschaften oder Firmenkontakte mit Bedarf, ihren Mitarbeitern ein gutes Stehvermögen mit besserem Fußbett zu bieten.

OT: Welche gestalterischen Elemente nutzen Sie aktuell im Sanitätshaus häufig?

Park: Wohin geht der Trend? Wird sich am Trend orientiert? Muss sich am Trend orientiert werden? Zumal gibt es durch Innovationen auf dem Markt der Materialvielfalt und Farbenfrohheit einen großen Fundus. Für Geschäftsführer ergibt sich die Frage, was wirklich zeitgemäß ist und inwiefern diese Vielfalt für sie Unübersichtlichkeit bedeutet. All diese Fragen werden durch uns Innenarchitekten in der Antwort umfassend erfüllt. Wir wählen ihnen aus der Vielzahl von Lösungen die richtige Stilfindung heraus. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Betriebe das Ziel haben, eine Eigenmarke zu kreieren, unverwechselbar zu sein und eine eigenständige Corporate Identity zu erhalten. Ob eine grüne Wand auf der Verkaufsfläche gewünscht ist, da außerdem das Luftklima gesünder wird, oder durch hinterleuchtete Großbildaufnahmen eine Alternative gefunden werden soll. Ob ein wirkliches Echtholz in Form von vertikalem Lattenzaun oder horizontal aneinandergereihten dreidimensionaler Struktur dem sterilen Charakter eines Sanitätshauses entgegenwirken darf. Oder ob eine bewusste Farbkombination gefragt ist: Alles muss in Harmonie und zueinander stimmig im gestalterischen Kontext stehen.

OT: Gibt es weitere Ideen, die Sie in einem Sanitätshaus der Zukunft gerne umsetzen möchten?

Park: Beim Gedanken an ein Sanitätshaus erlebe ich im Alltag leider immer noch ein eher unsicheres Verhalten von meinem Gegenüber. Durch gute Konzepte in der Gestaltung und innovativem sowie modernem Erleben und Sichtbarkeit dieser Flächen, wird sich hoffentlich in zeitnaher Zukunft das Image mehr zur positiven Erscheinung dieser Gesundheitshäuser ändern. Das ist meine Message. Ich sehe als Vision einen sehr bunten Blumenstrauß an Chancen, der so sehr vielfältig ist, wie es unsere Bauherren sind. Gemeinsam zu Brainstormen und Ideen zu entwickeln, wo die Zukunft eines Betriebes steht, ist eine wichtige Entwicklung für den Erfolg. Die Qualität des Flächenkonzeptes und gute Innenarchitektur steht an erster Stelle. Ob im Bereich der Technik, die das High-End noch nicht erreicht hat, den Menschen dazu die entsprechenden hilfsmittelversorgenden Raumlösungen anzubieten. Oder vom hybriden Konzept einer Sanitätshausfläche, die eigentlich eine hilfsmittelverkaufende Fläche darstellt, kann diese Fläche für einen Kulturevent ebenso flexibel umgestellt werden. Gleichwohl werden innovative und zukunftsfähige Flächenkonzepte dieser Gesundheitsbranche besser gelingen, wenn vor allem der Einsatz von digitalen Medien auf der Verkaufsfläche und in der erweiterten Ladenfläche, den Anproben, noch mehr angenommen wird: das Digital Signage. Dann wird sich Wesentliches modifizieren: Tradition und Moderne im fortschrittlichen Einklang – dies kann kein weiterer Fachhandel in irgendeiner Branche bieten. Dies ist meine Botschaft, mit mehr Selbstbewusstsein und Souveränität im Sinne des Generationswechsels zu handeln.

Die Fragen stellte Heiko Cordes.

Dieser Artikel ist zuert auf Orthopädie Technik erschienen